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Virtuelle Realität und virtuelle Identität

Der Begriff virtuelle Realität geht auf Jaron Larnier (1992) zurück. Ende der 1980er Jahre ging es darum, computervermittelte Erlebniswelten und die Interaktion zwischen Mensch und Computer begrifflich zu erfassen. Diese Menschcomputerschnittstellen wurden nach Larnier und Biocca (1992) als Virtual Worlds, Virtual Cockpits und Virtual Workstations bezeichnet.

Vor dem Begriff der virtuellen Realität war der Begriff der Simulation üblich. Unterschiedliche AutorInnen haben bislang versucht, den Begriff der virtuellen Realität zu definieren. Die Mehrzahl dieser Definitionsversuche bezieht sich dabei auf die Hardwarebedingungen von virtuellen Realitäten, wodurch diese überhaupt erzeugt werden können.

Virtuelle Realität beginnt an dem Punkt, an dem „[…] ein virtuelles Modell durch die unmittelbare Reaktionszeit des Rechners auf die Manipulation des Benutzers hin interaktiv veränderbar wird“ (Alsdorf & Bannwart, 1995, S. 438). Neben den technischen Voraussetzungen für die Reaktionszeiten des Rechners geht es auch um die Erzeugung möglichst realistischer und sensorischer Umwelteindrücke.

Vorrangig ist hierbei die Herstellung einer räumlichen Wahrnehmung (vgl. Bente et al., 2002, S. 8-9). Der Begriff virtuell wird inzwischen inflationär für computerunterstützte Werkzeuge, Prozesse und Datensammlungen angewendet (vgl. Schulmeister, 2001, S. 222).

(virtuelle) Identität

Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung gibt es für den Begriff der Identität unterschiedliche Definitionsversuche. Die Psychologie unterscheidet zwischen der personalen und der sozialen Identität.

„Der Begriff personale Identität bezeichnet eine Selbstdefinition als einzigartiges und Unverwechselbares Individuum, die auf einer interpersonalen (oder intragruppalen) Differenzierung auf der Basis individueller Merkmale beruht („ich“ vs. „du“ oder „ihr“)“ (Stürmer, 2005, S. 65).

Identität wird hier verstanden als tiefes Verständnis über unveränderliche, grundlegende Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit. Der Wahrnehmung von sich selbst als eine in sich stimmige Person. Diese Vorstellung geht von einer nicht austauschbaren und immer und überall nachweisbaren Identität durch zum Beispiel Personalausweis, Augenfarbe und Fingerabdrücke aus.

Virtuelle Identitäten hingegen beschreiben computervermittelte Selbstdarstellungen des Menschen, angefangen bei E-Mails bis zu Social Networks und Rollenspielen im Internet. Das Individuum kann sich im Internet praktisch neu erfinden. Nach der Individualisierungsthese von Ulrich Beck (1986) sind Rollenübernahmen komplex und nicht mehr eindeutig.

Das Spektrum der Entscheidungsvielfalt geht einher mit Entscheidungsdruck. Zuvor verbindliche Normen, Wertvorstellungen, Stand, Klasse und Zuschreibungen von Geschlechtsrollen sowie Familienbindungen und Religion sind nicht mehr prägend oder bindend. Diese bieten dem Individuum der Postmoderne nicht mehr im selben Maße eine Orientierung, wenn es darum geht, sich selbst und Welt zu verorten.

In einer sich immer weiter individualisierenden, globalisierenden und pluralisierenden Gesellschaft erscheint Identitätsarbeit wie Schwerarbeit. Das Individuum ist gefordert, „in einer fragmentierten und widersprüchlichen Welt […], für sich eine stimmige Passung herzustellen“ (Keupp et al., 1999, S. 7). Diese Passung ist wiederholt, entlang der sich wandelnden Anforderungen zu aktualisieren. Zu diesen vielfältigen Rollenübernahmen kommen im Medienzeitalter diverse Rollen- und Identitätskonstruktionen im Internet hinzu.


Identitätsbalance von Jugendlichen und das Netz

Welche Auswirkungen haben Identitätskonstruktionen im Internet auf die Identitätsbalance von Jugendlichen?
Im Internet übernehmen Jugendliche unterschiedliche virtuelle Rollen in Form von Personae, die sie an ihrer eigenen Stelle interagieren lassen. Sie sind hier nicht nur derjenige der handelt, sondern sie können sich selbst, das heißt der Persona, die an ihrer Stelle im Internet interagiert, bei jeder Interaktion mit anderen zusehen. Dabei können sie beobachten, welche Reaktionen ihre Handlungen bei anderen auslösen und welche Reaktionen die Handlungen der Anderen in ihnen selbst auslösen.

Die Distanz zu den eigenen Handlungen im Internet kann dem Jugendlichen helfen, seine eigenen Handlungen besser zu verstehen und zu hinterfragen. Beziehungen im Internet können eher schnell sehr eng werden. So kann sich der Jugendliche, der im realen Leben keine engen Familienbindungen oder Bezugspersonen hat, eine Art Ersatzfamilie im Internet erschaffen, die ihm gemäß dem Game und signifikanten Anderen nach Mead (1978) Orientierung geben können.

Die Gruppenbildungen ermöglichen die Einübung von Handlungsweisen am Beispiel des generellen Anderen nach Mead (1978) und erlauben gleichzeitig einen Freiraum, indem der Jugendliche auch er selbst sein kann. Der spielerische Umgang mit Persönlichkeitsmerkmalen und Gender Switching bieten Jugendlichen eine Möglichkeit sich ohne einengende gesellschaftliche Konventionen und Sanktionen in unterschiedlichen Rollen auszuprobieren. „Du kannst alles sein, was du willst. […] Du kannst ein anderes Geschlecht annehmen, mehr reden, weniger reden. Egal“ (Turkle, 1998, S. 297) und „Sie hat das Gefühl, ihrem wirklichen Selbst näherzukommen, wenn sie sich in einer Reihe virtueller Masken auslebt“ (Turkle, 1998, S. 298).

Die Meinungsbildung im Internet basiert dabei auf Informationen die zuvor einen Filter durchlaufen haben. Auf nonverbale-Kommunikation muss im Internet eher verzichtet werden. An ihre Stelle werden neue Symbole und Codes gesetzt, die encodiert und interpretiert werden müssen. In einer textbasierten Kommunikation werden die Wortwahl, die schriftsprachlichen Fähigkeiten relevant nebst den von Walther (1992) aufgeführten Informationen, die nonverbale Kommunikation zwar nicht ersetzen aber kompensieren können.

MUD-Spiele bieten Rollenübernahmen und Möglichkeiten, die in dieser Fülle in der Realität nicht möglich sind. Es kommt dem Wunsch nach Spiel, nach Zugehörigkeit, nach Anerkennung und Geborgenheit von Jugendlichen entgegen. Das Spiel mit der Identität in MUDs ist wie ein Abenteuerspielplatz für Jugendliche mit ganz eigenen Regeln und Funktionen.

Spiele wirken sich entlastend aus, sie lenken von den alltäglichen Problemen ab. „Spiele entlasten von den Mühen des Alltags, indem sie dessen Erfahrungsbereiche vorübergehend ausblenden und ein alternatives Bedeutungssystem an ihre Stelle setzen“ (Bahl, 2002, S. 43). Jugendliche gehen im Rahmen der Rollenspiele zunächst virtuelle Beziehungen ein, die oftmals in das reale Leben hineinreichen können. Sie teilen mit der Gruppe zum Beispiel ihrer Gilde virtuelle Abenteuer, sie können auf gemeinsame virtuelle Erlebnisse zurück schauen und haben dadurch eine Bindung und Gesprächsstoff, doch ob sich diese Bindungen in das reale Leben übertragen lassen, muss sich in den persönlichen Interaktionen zeigen.

Die Identitätsbalance erfordert von Jugendlichen eine enorme Leistung. Immer wieder muss das Gleichgewicht neu austariert werden, muss zwischen den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und den Erwartungen der Gesellschaft abgewogen, ausgesucht und entschieden werden. Durch die scheinbar grenzenlosen Rollenübernahmen im Internet können Jugendliche diese Balance eher aufrechterhalten. Sie können Rollen, die sie im realen Leben nicht spielen dürfen, zunächst im Internet ausprobieren und für sich diesbezüglich Entscheidungen treffen.

Diese Vielfalt an möglichen Selbstdarstellungen setzt Entscheidungsfähigkeit voraus. Sind die Voraussetzungen des Individuums noch nicht ausgereift, fehlt es an eigener Orientierung, kann das zu einer Krise der Selbstpräsentation führen. Deshalb ist die Begleitung durch Mentoren, die Orientierung geben und diese als Angebot und nicht als Norm verstehen, so wichtig.

Die Gesellschaft, die darauf angewiesen ist, die Flügel von jungen Menschen zu stutzen, um im Sinne der Gesellschaft möglichst gut funktionierende Menschen hervorzubringen, hat in der virtuellen Realität (noch) nicht diesen Einfluss. Doch Kinder und Jugendliche brauchen nicht nur Flügel, sondern auch starke Wurzeln, die ihnen Halt und Orientierung bieten.

Es ist die Aufgabe von Erwachsenen, Kinder und Jugendliche in ihrer Mediensozialisation zu unterstützen und sie auch auf die Gefahren, die im Internet gegeben sind, adäquat vorzubereiten. Es dürfen aus Angst vor den Gefahren des Internets, das Medium nicht verteufelt und aus Euphorie für das Medium, nicht ganze Generationen von Kindern auf ihrer persönlichen Antwortsuche auf die Frage – Wer bin ich? – alleine gelassen werden.

Serpil Mağlıҫoğlu


Soziale Beziehungen im Internet

Nach der Selbstkategorisierungstheorie von (Turner et al., 1987) kann eine Mitgliedschaft in einer virtuellen Gruppe die Basis für soziale Identifikation darstellen. Wenn ein Spieler sich ganz neu in eine virtuelle Gemeinschaft einloggt, dann deshalb, weil dieser ein Interesse am Thema hat, wie zum Beispiel Rollenspiele.

Zu diesem Zeitpunkt kennt der neue Mitspieler die anderen SpielerInnen noch nicht und trotzdem ist die soziale Identifikation mit der virtuellen Gemeinschaft sehr hoch, weil ein gemeinsames Interesse vorausgesetzt wird. Erst durch die Interaktion mit Gemeinschaftsmitgliedern wird realisiert, dass die SpielerInnen sich doch nicht so sehr ähneln wie zunächst angenommen wurde.

An diesem Zeitpunkt nimmt die soziale Identifikation mit der Gemeinschaft ab. Die Mitglieder werden jetzt als Individuen wahrgenommen und es können interpersonale Beziehungen aufgebaut werden. Es entstehen Freundschaften mit einzelnen Mitgliedern, die auch über das virtuelle hinausgehen können oder mindestens zur Hinzuziehung von weiteren Kommunikationswegen wie zum Beispiel das Internettelefon (TZ) führen.

Das TZ wird oftmals von Gruppen eingesetzt, die sich schon länger kennen und als Gemeinschaft, Legion in einem Rollenspiel interagieren (vgl. Bente et al., 2002, S. 175). Das Telefongespräch in Echtzeit bietet dem Austausch von sozio-emotionalen Inhalten einen weiteren Kanal. Hier können auch persönliche Informationen ausgetauscht beziehungsweise Solidarität, Zustimmung oder auch Ablehnung, Verständnis und Trost zum Ausdruck gebracht werden. Diese Möglichkeit verstärkt das Gefühl der Verbundenheit und sozialen Identifikation mit der eigenen Gemeinschaft (Gilde, Legion) in MUDs.

Das MUD an sich unterscheidet sich von der Welt außerhalb des Internet und hat gleichzeitig Ähnlichkeiten damit. In einem MUD können SpielerInnen durch den Einsatz eigener Fähigkeiten Karriere machen. Sie interagieren und kommunizieren miteinander und ernten für ihren Erfolg Anerkennung und Bestätigung durch andere SpielerInnen. Diese Karrieren im MUD, können außerhalb der MUD-Spiele nicht ohne weiteres wiederholt werden.

Außerhalb des Internets sind Alter, Geschlecht, Herkunft oder Behinderung nicht veränderbar und bestimmen über die Teilhabechancen des Individuums entlang gesellschaftlich vorgegebener Differenzlinien. In diesem Sinne funktionieren MUDs als Orte der Sozialisation nach dem Prinzip der Leistungsgesellschaft – setze deine Fähigkeiten ein, lerne und komme weiter.

In der Folge sind unterschiedliche Reaktionen denkbar. Das Individuum wird sich seiner Position in der Gesellschaft aufgrund seiner unveränderbaren Voraussetzungen bewusst und handelt danach. Oder das Individuum entspannt sich, weil es endlich sein kann, wie es sein will und nutzt das Spiel als eine Flucht vor seiner Realität.

Serpil Mağlıҫoğlu


Selbstdarstellung und Identitätskonstruktionen im Internet

Die vielfältigen Kommunikations- und Interaktionsszenarien des World Wide Web bieten jungen Menschen soziale Erfahrungsbereiche, Gruppenzugehörigkeiten und Rollenspiele an, die im realen Leben so nicht möglich oder nicht mehr möglich sind. Die Anonymität des Internets unterstützt die Inszenierung der eigenen Person und bietet eine neue Freiheit in der Selbstpräsentation.

Persönliche Stärken können in der virtuellen Realität weiter ausgebaut und Schwächen verschwiegen oder Identitäten können komplett neu erfunden werden. Bis hin zum Gender Switching scheinen der Konstruktion von neuen Identitätsbausteinen für das Identitäts-Patchwork nach Keupp et al. (1999) keine Grenzen gesetzt zu sein. Ein virtuelles Ich, kann in Online-Foren, Rollenspielen, Sozialen Netzwerken mit anderen Personae interagieren.

Die digitalen Medien, das Internet bieten Jugendlichen eine Chance, sich in unterschiedlichen Rollen zum einen zu präsentieren und zum anderen sich selbst in dieser Rolle wahrzunehmen ohne ein Risiko, zum Beispiel der Stigmatisierung einzugehen oder sich festlegen zu müssen. Völlig ohne Risiko kann mit sehr unterschiedlichen Identitäten experimentiert werden bis hin zum Gender-Switching.

Aus diesem Grunde spielen digitale Medien in der Identitätsentwicklung von Jugendlichen eine besondere und wichtige Rolle. Sie bieten Erfahrungs- und Resonanzräume an, die für jeden Jugendlichen mit Internetzugang zur Verfügung stehen. In der Offline-Welt, versuchen Jugendliche ihre stilistische Distinktion primär über äußerliche Zeichen, wie Kleidung, Körperbemalung, Körperschmuck, Haarstil zum Ausdruck zu bringen.

Diese Selbstinszenierungsstrategien setzen Jugendliche im Internet in MUD Spielen fort, das konnten Studien von Eckert et al. (1991) belegen. Darin erscheinen vor allem Rollen, die in der Offline-Welt nicht mehr ohne Sanktionen ausprobiert werden können, ganz besonders interessant. „[…] für viele Jugendliche „Netzfreaks“ ist es ein besonderer Kick von hoch affektiven Handlungsrollen auszugehen, die im Alltag nicht – oder nicht mehr zugelassen – sind“ (Vogelgesang, 2000, S. 248). Sexuelle Affinitäten können ohne Gedanken an Krankheiten ausagiert werden, transsexuelle Ideen ausprobiert und ausgetestet werden. Die eigene Rolle als Frau oder Mann kann gerade durch die Rollenübernahme des anderen Geschlechtes, verifiziert werden. Unklare Tendenzen in die eine oder andere sexuelle Richtung können im Spiel erfahren und angenommen beziehungsweise abgelehnt werden.

Die virtuellen Erfahrungsräume bieten Jugendlichen eine Welt, die scheinbar fern ab von Gefahren, Stigmas und Krankheiten erlaubt, sich in der Form einer virtuellen Persona auszuprobieren und auszutarieren. Für Jugendliche, die mit weniger guten persönlichen wie gesellschaftlichen Teilhabechancen in ihr Leben starten, können die unterschiedlichen Rollen im Internet nicht vor der Realität des realen Lebens hinwegtäuschen.

Serpil Mağlıҫoğlu


Nonverbale Kommunikation und das Netz

Eine interpersonale Kommunikation besteht vorrangig aus nonverbalen Botschaften und nur zu einem kleinen Teil aus verbalen Botschaften. „Gestik, Blick und Tonfall setzen Akzente und dienen der Verdeutlichung dessen, was wir mit Worten kommunizieren möchten“ (Forgas, 1995, S. 132). Die Shared-Communicative-Environment-Theory nach Fussel und Benimoff (1995) unterscheidet zwischen linguistischen (gesprochene Worte)
paralinguistischen (verbale Informationen in Form von Pausen, Betonungen und Stimmmodulationen) nonlinguistischen Informationskanälen (nonverbale Kommunikation in Form von Blickkontakt, Körperhaltung).

Der computervermittelten Kommunikation fehlen teilweise oder komplett die nonlinguistischen und paralinguistischen Informationen. Wichtig für die Autoren ist die Betrachtung der Kommunikation, die sie als einen koordinierten Prozess betrachten, in dem SprecherInnen sowie ZuhörerInnen ihre Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen abstimmen müssen. Nach Fussel und Benimoff (1995) sollten Kommunikationsmedien danach beurteilt werden, in wie weit diese einen Kommunikationskontext ermöglichen beziehungsweise verhindern.

„Verbale und nonverbale Kommunikation sind Indikatoren für die Erzeugung der Beziehungen. Betonungen beim Sprechen können durch Körperhaltungen unterstrichen werden. Blicke und Kopfbewegungen bezweifeln die Worte des anderen oder drücken Verstehen und Zustimmung aus“ (de Witt, 1993, 60-61). In der computervermittelten Kommunikation gibt es Informationen, die der nonverbalen face-to-face-Kommunikation entsprechen.

Der Gebrauch von Emoticons und die Länge einer Nachricht sind solche Entsprechungen. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit beim Sprecherwechsel und die Länge der Wortbeiträge ist ein wichtiger Hinweis für die Eindrucksbildung. In der computervermittelten Kommunikation kann das auf die Häufigkeit und Länge zum Beispiel einer E-Mail Nachricht übertragen werden.

Die Häufigkeit und die Länge von E-Mail Nachrichten wirken auf die Eindrucksbildung ein. Je häufiger und länger die Nachrichten, umso positiver wird das Gruppenmitglied beurteilt und wahrgenommen. Eine Kombination von Tastaturzeichen, die einen Smiley (:-)) oder einen Zwinkerer (;-)) darstellen, sollen Emotionen über die Tastatur kommunizieren. Wesentlich dabei ist, Emoticons sind bewusst gewählte Zeichen, während ein Lächeln in einer face-to-face-Kommunikation eine unbewusste Handlung sein kann.

In einer face-to-face-Kommunikation haben nonverbale Zeichen einen viel größeren Einfluss auf die Interpretation der vermittelten Informationen als dies in der computervermittelten Kommunikation der Fall ist. „Dies spricht dafür, dass die nonverbale Komponente der Kommunikation durch Ersatzsymbole nicht ersetzt werden kann“ (Schulmeister, 2006, S. 149). Grundsätzlich steht in einer computervermittelten Kommunikation weniger Informationen für die Eindrucksbildung zur Verfügung als in einer face-to-face Kommunikation.

Trotz dieser Kontextarmut bilden Nutzer und Nutzerinnen in der virtuellen Realität sich eine Meinung über ihre Kommunikationspartner. Die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung nach Walther (1992) auch Filtertheorie genannt geht davon aus, dass sich die Kommunikationspartner und Kommunikationspartnerinnen in einer computervermittelten Kommunikation unter Umständen verbundener und intimer miteinander wahrnehmen, als dies in einer face-to-face Kommunikation der Fall wäre.

Seine Theorie geht nicht von einer Verarmung der Kommunikation durch computervermittelte Kommunikation aus, sondern von einer Kompensation der medialen Einschränkungen durch ein angepasstes Nutzerverhalten der Mitglieder (vgl. Merz, 2001, S. 112). Sender und Senderin können keine nonverbalen Informationen vermitteln, wie dies in einer face-to-face Kommunikation möglich ist. Nach Hesse (1997) werden in einer face-to-face-Kommunikation Informationen auf den sozialen Status vor allem über den Habitus vermittelt, dazu zählen Kleidung, Sprache, Auftreten, Verhalten, Mimik und Gestik. In einer computervermittelten Kommunikation ist das nicht möglich.

Die computervermittelte Nachricht kann vor dem Versenden kontrolliert und gefiltert werden. Belastungen wie einen guten Eindruck vermitteln zu müssen, fallen völlig weg und legen kognitive Kapazitäten frei, die für die Gestaltung der Botschaft genutzt werden können. Die erste Botschaft, die auf diesem Wege vermittelt wird, hat bereits eine Art kognitiven Filter des Senders oder der Senderin passiert.

In der Folge können Illusionen über die Kommunikationspartnerin und den Kommunikationspartner entstehen. Senderin und Sender sowie Empfängerin und Empfänger sind wie in der face-to-face Kommunikation durch Rückkopplungsprozesse miteinander verbunden. Verhaltensbestätigung führt dazu, dass die Kommunikation zwischen den Individuen im Laufe der Zeit beziehungsorientierter und intimer wird.

„Computervermittelte Kommunikation ist gemäß der Filtertheorie also nicht generell defizitär anzusehen, sondern lediglich als spezielle Kommunikationsform mit eigenen Eigenschaften, die sich je nach Zielkriterium als Vor- oder Nachteile darstellen können“ (Merz, 2001, S. 100). Meinungsbildung, Selbstpräsentation und Identitätsaushandlungen in Form von Rollenübernahmen basieren hier auf medienvermittelter Kommunikation und Interaktion.

Es scheint, als ob sich die Symbolik, die für Mead (1978) unabdingbar ist, für die Kommunikation und in der Folge für die Interaktion von Akteuren verwandelt hat. Symbole im Internet im speziellen in MUDs sind medienvermittelt und universal, wenn davon ausgegangen wird, dass in einem Spiel wie MUD, Spieler und Spielerinnen aus ganz unterschiedlichen Ländern, Kultur- und Sprachkreisen mitspielen können.

Spieler und Spielerinnen müssen sich für den Zeitraum eines Spiels im Internet, sich auf diese virtuellen Symbole, die die computervermittelte Interaktion vorgibt, einlassen. Nach der Theorie Meads (1978) braucht es gemeinsame Symbole, die Interaktion in einer Internetgesellschaft ermöglichen.

Serpil Mağlıҫoğlu


Kommunikation und Identität im Netz – SIDE Modell

Die Anonymität des Internets erlaubt die Kreation von Online Identitäten. Angefangen beim Alter kann praktisch jedes Persönlichkeitsmerkmal verändert oder neu definiert und in eine virtuelle Identität integriert werden. Renner (2005) unterscheidet soziale und personale Identität. „Beide Anteile unserer Identität werden durch die computervermittelte Kommunikation berührt, sei es durch neue Gruppenbildungen im Internet oder durch den spielerischen Umgang mit Persönlichkeitsmerkmalen, zum Beispiel durch Übernahme unterschiedlicher Geschlechterrollen“ (Renner, 2005, S. 252). Der Informationsaustausch zwischen den Individuen und die Kommunikationswege sind im Internet anders als in einer face-to-face- Kommunikation.

Die Theorie der sozialen Identität von Tajfal und Turner (1986) ist die Basis der Theorie von Reicher, Spears und Postmes (1995), genannt SIDE- Social Identity Model of Deindividuation Effects. Deindividuation bezeichnet hier den Umstand, nicht mehr als Individuum zu handeln, sondern als Mitglied einer (virtuellen) Gruppe.

Die Wahrnehmung der Gruppenzugehörigkeit geht einher mit einem Verlust der Eigenverantwortlichkeit, der Selbstbeobachtung und der Selbstreflexion (vgl. Renner, 2005, S. 253). Dies hängt mit der meist physischen Isolation der Teilnehmer zusammen. Oftmals sitzt ein Spieler alleine vor einem Personal Computer und kommuniziert über diesen mit seinen Mitspielern und Mitspielerinnen.

Diese Isolation bedeutet gleichzeitig eine visuelle Anonymität und führt zu mehr privater Selbstaufmerksamkeit. Je nach Situation und Kontext wird entweder die persönliche oder die soziale Seite salient und damit verhaltensbestimmend. „Im Fall salienter sozialer Identität steigt die Bedeutung der Gruppe, mit der gerade computervermittelt kommuniziert wird“ (Renner et al., 2005, S. 254).

In der Gruppe erlebt das Individuum eine Deindividuation. Nach Reicher et al. (1995) hängt dies mit der Anonymität und der Identifizierbarkeit der einzelnen Mitglieder zusammen. In der Gruppe können die einzelnen Mitglieder nicht individualisiert wahrgenommen werden. Diese Anonymität hat zur Folge, dass sich diese als eine mehr oder weniger geschlossene Einheit und nicht als Individuen wahrnehmen. „So führt der Verlust an Informationen über individuelle Merkmale wie Körperhaltung und persönliche Ausstrahlung in der textbasierten Kommunikation (cvK) dazu, dass sich die Kommunikations-partner/innen stereotyp als Mitglieder der jeweils salienten Kategorie, sei es der Eigen- oder der Fremdgruppe behandeln“ (Boos, 2010, S. 56).

Die strategische Reaktion auf diesen Umstand ist, dass sich Mitglieder, die gegenüber einer Fremdgruppe identifizierbar sind, sich an der Norm dieser Gruppe orientieren, um eventuellen Sanktionen aus dem Wege zu gehen. Ist aber die Person gegenüber ihrer eigenen Gruppe identifizierbar, so wird sie sich nach dem SIDE-Modell aufgrund der von der eigenen Gruppe erwarteten Unterstützung an deren Norm ausrichten.

Nach Renner (2005) schafft Deindividuation, wenn sie über computervermittelte Kommunikation realisiert wird, Polarisationsbedingungen durch Ausschaltung von interpersonalen Differenzen sowie Verstärkung von Gruppennormen.

Serpil Mağlıҫoğlu


Identitätsentwicklung durch Interaktion und Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld

In der menschlichen Interaktion finden Rollenübernahmen bei den Beteiligten statt. Die Situation, die Gedanken und das Verhalten des Gegenübers kann erst durch den Versuch, sich in den anderen zu versetzen, verstanden werden. „Es ist die Antwort des Einzelnen auf die Haltung der anderen ihm gegenüber, wenn er eine Haltung ihnen gegenüber einnimmt“ (Mead, 1978, S. 221). Diese Vorstellungskraft und die Fähigkeit des Menschen, sich an der erwartbaren Verhaltensweise des anderen zu orientieren und das eigene Verhalten an dieser Verhaltenserwartung ausrichten zu können ist ein zentraler Gedankengang von George Herbert Mead.

Play und signifikante Andere.
Mead (1978) unterscheidet Rollenübernahmen im Play, die sich im kleinen Kreis abspielen, im engsten Umfeld des Kindes mit seinen Bezugspersonen und Rollenübernahmen im Game, die den gesamtgesellschaftlichen Raum einbeziehen. Im Play übernehmen Kinder Rollen ihrer nächsten Bezugspersonen wie beispielsweise den Eltern.

Mead bezeichnet diese als signifikante Andere. In diesen Rollenspielen denkt und handelt das Kind aus der Warte des jeweils anderen. Für den Moment des Spiels ist das Kind die Person, die es spielt. „Ein Kind spielt „Mutter“, „Lehrer“, „Polizist“; wir sagen, dass es verschiedene Rollen einnimmt“ (Mead, 1978, S. 192). Im Spiel kommen beide Aspekte, die Sichtweise der Mutter und die des Kindes zusammen. „In diesem frühen Stadium hat das Kind noch keine voll entwickelte Identität“ (Mead, 1978, S. 194). Das Kind spielt mit den unterschiedlichen Verhaltensweisen beider Rollen und bleibt so mit sich in einer gespielten Interaktion.

„Wenn ein Kind eine Rolle einnimmt, hat es in sich selbst den Reiz, der diese bestimmte Reaktion oder Gruppe von Reaktionen auslöst“ (Mead, 1978, S. 192). Das Play spielt sich im engsten Umfeld des Kindes ab und bietet die Möglichkeit, das Spiel jederzeit zu unterbrechen oder damit aufzuhören.

Game und verallgemeinerte Andere.
Im Game lernt das Kind organisierte Formen des Spiels und der Rollenübernahme. Im Unterschied zum Play ist die Rollenübernahme kein empathisches hineinversetzen sondern ein abstraktes Antizipieren. Ab jetzt orientiert es sich nicht mehr ausschließlich an seinen Bezugspersonen sondern an weiteren Personen und übernimmt neue und weitere Rollen. Jede eigene Handlung wird hier in Kooperation, Interaktion sowie in der Erwartung der Gegenreaktion auf das eigene Handeln gedacht und ausgeführt.

„Der grundlegende Unterschied zwischen dem Spiel und dem Wettkampf liegt darin, daß in letzterem das Kind die Haltung aller anderen Beteiligten in sich haben muß“ (Mead, 1978, S. 196). Aufgrund dieser Handlungsweise kann ein gemeinsames Ziel anvisiert und erfolgreich erreicht werden. Die Voraussetzung für diese Handlungsweise ist die Fähigkeit jedes Einzelnen sich in den Anderen hineinversetzen zu können, seine möglichen Handlungen im Geiste vorwegzunehmen, diese in die eigene Reaktion miteinzuplanen und in Relation zu den eigenen Handlungen und Schritte zu setzen.

Dieses Hereinholen der weitgespannten Tätigkeit des jeweiligen gesellschaftlichen Ganzen oder der organisierten Gesellschaft in den Erfahrungsbereich eines jeden in dieses Ganze eingeschalteten oder eingeschlossenen Individuums ist die entscheidende Basis oder Voraussetzung für die volle Entwicklung der Identität des Einzelnen: […] (Mead, 1978, S. 197).

Dabei kann ein Einzelner nicht alle möglichen anderen Rollen gleichzeitig in seinem Bewusstsein haben, doch die möglichen Reaktionen der Anderen müssen so weit wie möglich der eigenen Handlung zugrunde liegen. Diese Form des Spiels wird im Gegenzug zum Play durch feste Regeln organisiert. Dieses Prinzip des Handelns nennt Mead (1978) das verallgemeinerte Andere „Beim abstrakten Denken nimmt der Einzelne die Haltung des verallgemeinerten Anderen gegenüber sich selbst ein, ohne Bezug auf dessen Ausdruck in einem anderen Individuum“ (Mead, 1978, S. 198). Das verallgemeinerte kann als die Summe der generellen Haltungen verstanden werden, die das Individuum in einer konkreten Situation von allen Handelnden erwartet.

Obwohl Menschen einer Gemeinschaft die gleichen Werte und Symbole teilen, sind sie doch völlig verschieden. Das erklärt Mead (1978) durch die unterschiedlichen Erfahrungen des Individuums. Die Aktivitäten des Menschen kommen zum einen aus seinem Inneren und zum anderen entwickelt sich diese in der Interaktion und Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld.

Unterschiedliche Menschen aus dem persönlichen Umfeld haben unterschiedliche Sichtweisen und Erwartungen an das Individuum. Der Chef erwartet etwas anderes als der beste Freund oder die Freundin etwas anderes als die Mutter. Diese oftmals sehr unterschiedlichen Bilder der Anderen von einem selbst und die unterschiedlichen Vorstellungen, Meinungen des Individuums von sich selbst müssen zu einem möglichst einheitlichen Selbstbild synthetisiert werden, wenn konsistentes Verhalten möglich sein soll.

I und Me. Das I steht hier für die Spontanität. Diese kann sich überraschend zeigen, ist an keine Regeln gebunden. Durch diese unerwartete Spontanität, welches durch das I ausgelöst werden kann, ist gesellschaftliche Veränderung denkbar und möglich.

Das Me steht für den gesellschaftlichen Aspekt der Identität für die Sozialisation des Individuums. Hier finden sich alle Wert- und Normvorstellungen der Gesellschaft sowie die Symbole einer Sprachgemeinschaft wieder. Das Individuum ist ständig gefordert, das Gleichgewicht zwischen den eigenen persönlichen Wünschen und Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an ihn herzustellen.

Nach Mead (1978) schafft sich das tätige Subjekt seine eigene Welt in der Kommunikation mit anderen Subjekten. Dabei ist es nicht frei in seinen Handlungen, es muss sich an dem verallgemeinerten Anderen orientieren „Die organisierte Gemeinschaft oder gesellschaftliche Gruppe, die dem Einzelnen seine einheitliche Identität gibt, kann der (das) verallgemeinerte Andere, genannt werden“ (Mead, 1978, S. 196).

Mead sieht in der Sprache, als signifikantes Symbol, die Grundlage für Kommunikation. Die Interaktion der Individuen vermittelt durch die Kommunikation, ist die Basis für identitätsstiftende Wahrnehmungen, Spiegelungen, Selbs- und Fremdverortungen.

Serpil Mağlıҫoğlu


 Kommunikation ist auch immer an sich selbst gerichtet

„Wir sprechen manchmal so, als könnte eine Person eine ganze logische Argumentation im Geist aufbauen und sie dann in Worte umsetzen, um sie einem anderen zu übermitteln. In Wirklichkeit findet unser Denken aber ständig mit Hilfe gewisser Symbole statt“ (Mead, 1978, S. 188). Dabei werden alle Symbole als Allgemeinbegriffe verstanden. Der Mensch kann nichts von sich geben, was absolut partikulär wäre, alles was sinnvoll ist, ist auch allgemein gültig. Wenn ein Individuum etwas sagt, dann löst dies bei allen anderen eine bestimmte Reaktion aus. Die Voraussetzung dafür liegt in der gemeinsamen Erfahrung und einer gemeinsamen Wahrnehmung der genannten Symbole. Doch es gibt emotionale Gespräche, die anders gelagert sind. Mead führt an dieser Stelle, das Beispiel der sprachlichen Bedrohung an. Von einer Bedrohung die ausgesprochen wird, fühlt sich der Sprecher selbst nicht bedroht oder er erschrickt nicht durch einen lauten Ton, der dazu verwendet wird, einen anderen zu erschrecken (vgl. Mead 1978, S. 189). „Im emotionellen Bereich, der einen großen Teil der vokalen Gesten umfaßt, lösen wir nicht in dem Maße die Reaktion der anderen auch in uns selbst aus, wie das beim sinnvollen Sprechen der Fall ist“ (Mead, 1978, S. 191). Für Mead (1978) besteht Identitätsentwicklung vor allem darin, die eigenen Handlungen sprachliche inbegriffen als Symbole zu verstehen, „die mit einer sozialen Bedeutung versehen sind“ (Jörissen, 2010, S. 93).

Als Beispiel wird hierfür die Geste der Begrüßung angeführt. Wenn zwei Individuen aus demselben Kulturkreis aufeinander zugehen und der eine die Hand entgegenstreckt, so ist dies eine symbolische Geste, die in seinem Gegenüber auch ohne Erklärung ein bestimmtes Wissen über Begrüßungsrituale aktiviert und als Folge eine Handlung auslöst. Die Handlung besteht darin, dass dieser ebenfalls seine Hand zur Begrüßung entgegenstreckt. Die symbolische Interaktion bedarf keiner sprachlichen Vermittlung sondern eines gemeinsamen Wissens, das sie internalisiert und repräsentieren können. Doch Mead versteht nicht nur Gesten als Symbole und Zeichen, sondern die Sprache beinhaltet eine Symbolik, die ihre Sprecher verinnerlicht haben und verstehen können und sprachliche Symbole bei sich selbst und bei anderen Reaktionen und Haltungen auslösen können. Symbole bestimmen die Interaktion der Akteure. Interaktion, auch wenn sie nur zwischen zwei Personen stattfindet, bedeutet Gesellschaft. In dieser Interaktion mit seinem Gegenüber und dem Bild, das der Andere von ihm hat, wird sich das Individuum seiner selbst bewusst, es entsteht Identität. „Schließlich verstehen wir unter Selbst-Bewusstsein ein Auslösen jener Haltungen in uns selbst, die wir auch in anderen auslösen, besonders dann, wenn es sich um wichtige Reaktionen handelt, die die Mitglieder der Gemeinschaft prägen“ (Mead, 1978, S 205-206). Diese Handlung der Rollenübernahme hat die Kontrolle des eigenen Handelns zur Folge. In dieser Interaktionstheorie ist Kommunikation auch immer an sich selbst gerichtet. Einer der wesentlichen Aspekte in Meads Theorie ist die Reaktion des Menschen auf sich selbst (vgl. Mead, 1978, S. 184). Selbstbewusstsein ist demnach ein Prozess der ständigen Wahrnehmung der eigenen Person als ein Objekt. „ […] soweit ich sehen kann, ist der Einzelne solange keine Identität im reflektiven Sinn, als er nicht sich selbst Objekt ist“ (Mead, 1978, S. 184). Die Fähigkeit des Menschen sich selbst beim Denken und Handeln zuschauen zu können, ist ein wichtiger Aspekt, wodurch sich Identität überhaupt entwickeln kann.

Serpil Mağlıҫoğlu


Wer bin ich?

Interaktionstheorie von Georg Herbert Mead

Teil I

Wer bin ich?“ Ist eine der zentralen Fragen der Menschheit. Diese Frage führt den Menschen zurück zu seinem Ursprung wie zu seinem Gewordensein und die Antwort darauf kann immer nur in Verbindung mit Gesellschaft gedacht und gegeben werden. Über eine lange Zeit war diese Antwort gesellschaftlich determiniert. In der Postmoderne, insbesondere im digitalen Medienzeitalter sind wir von neuem herausgefordert, eine Antwort auf diese Frage zu (ver)suchen. Die Begegnungen in den sozialen Räumen der digitalen Medien gehören neben Familie, Schule und Gleichaltrigen (Peergroups) zur Sozialisation von jungen Menschen (vgl. Vollbrecht, 2003, S. 13). „Zwei Drittel der 12- bis 19-Jährigen gehen Tag für Tag ins Internet, jeder Vierte ist mehrmals pro Woche online“ (JIM-Studie, S. 30, 2011). In der Postmoderne als Multioptionsgesellschaft sind Jugendliche gefordert sich ihre Identität aus vielen möglichen Variationen selbst zusammenzustellen, dabei spielt das Internet eine wesentliche Rolle.

„Das Internet ist ein virtuelles Labor für Experimente mit der Identitätsentwicklung“ (Palfrey & Gasser, 2008, S. 31). Keupp bezeichnet diese Vielfalt der Identitätskonstruktionen als „Patchwork-Identität“ (Keupp, 1990, S. 11). Menschen der Postmoderne bewegen sich nicht in einem homogenen sozialen Raum, in der die Rollenverteilung mehr oder minder festgelegt ist sondern „sie sind soziokulturelle Grenzgänger, die höchst unterschiedliche Lebensbereiche koordinieren und integrieren müssen“ (Vogelgesang, 2000, S. 246).

Die Idee von der Identität des Menschen ist zu verstehen als eine partizipative oder multiple Identität. Durch die individuell arrangierten räumlichen, zeitlichen, sachlichen sowie sozialen Rollentrennungen können mehrere Teilidentitäten parallel existieren. „In irgendeiner Form müssen wir schließlich ein Verhältnis zu uns selbst und zur „Welt“ finden, unser Leben möglichst an einem Ziel ausrichten, das wir uns selbst setzen und aus einer Vielzahl von Angeboten, die beständig auf uns niederprasseln, mehr oder weniger bewußt auswählen“ (Schubert, 1984, S. 27).

Die Konsequenz ist eine dauerhafte, strategische Identitätsinszenierung, welche mit situationellen Selbstdarstellungen einhergeht (vgl. Vogelgesang, 2000, S. 247). Die Vorstellung von Identität wird hier gesehen, als ein stetiger Einsatz des Menschen, eine Balance zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen und seinen ganz persönlichen Bedürfnissen herzustellen und aufrecht zu erhalten.

Demnach bezeichnet „Identität […] die Fähigkeit des einzelnen, sich über alle Wechselfälle und auch Brüche hinweg der Kontinuität seines Lebens bewusst zu bleiben“ (Bausinger, 1978, S. 204).  Als George Herbert Mead seine Theorie Anfang des letzten Jahrhunderts in Chicago entwickelte, gab es kein Internet. Trotzdem bleibt auch in diesem Kontext seine Interaktionstheorie in der Postmoderne relevant und richtungsweisend, weil nach wie vor Identität sich in der Interaktion zwischen den Individuen im gesellschaftlichen Kontext entwickelt.

Serpil Mağlıҫoğlu


Medienkompetenz – Ein Annäherungsversuch

Der Ansatz, Kompetenzen aufzubauen, orientiert sich an der aktuellen Entwicklung von Bildungsvorstellungen. „Verstärkt werden Lehr- und Lernprozesse aus der Perspektive der Kompetenz- bzw. Outputorientierung“ betrachtet (Hörmann, 2009, S. 14). Die zunehmende Orientierung an der zu erreichenden Kompetenz und nicht an Lerninhalten (Inputorientierung), hängt mit dem Bologna-Prozess (HRK 2005) sowie der Einführung von Bildungsstandards durch die KMK (2004) zusammen (vgl. Hörmann, 2009, S. 14).

Kompetenzen können als Fähigkeiten beschrieben werden, die dem Individuum bei der Lösung von lebensweltlichen Problemen zur Verfügung stehen und zu ihrer Lösung eingesetzt werden können. „Kompetenzen sind Selbstorganisationsdispositionen des Individuums“ (Erpenbeck & Heyse, 1999, S. 157). Diese beziehen sich in der Regel auf seine geistigen, instrumentellen, kommunikativen und reflexiven Handlungen. Die Fähigkeiten des Individuums diese Handlungen selbstorganisiert auszuführen, werden als seine Kompetenzen bewertet wie zum Beispiel Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen, personale Kompetenzen und Handlungskompetenzen (vgl. Erpenbeck & Heyse, 1999, S. 157).

Medienkompetenz enthält unter anderem den Bereich der Mediendidaktik, der Medienpädagogik und der Medienerziehung (vgl. Schriefers & Bischoff, 2002, S. 9). Medienkompetenz bezieht sich nach den vorgenannten Autoren auf Bücher, Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen genauso wie auf Computer und das Internet. Für Dieter Baacke (1991), der als wissenschaftlicher Vater des Begriffs der Medienkompetenz gilt, ist der zentrale Begriff, die kommunikative Kompetenz. Baacke unterteilte den Begriff der Medienkompetenz zur Operationalisierung in vier Dimensionen:

  • Medien-Kunde (das Wissen von Medien und Mediensystemen)
  • Medien-Kritik (die Reflexion und Analyse des vorhandenen Wissens)
  • Medien-Nutzung
  • Medien-Gestaltung (die aktiv-kreative Auseinandersetzung mit Medien (vgl. Treumann et al., S. 93, S. 132, S. 146, S 173).

Diese Dimensionen haben nach wie vor Ihre Gültigkeit, trotzdem sie in einer Zeit formuliert wurden, in der digitale Medien und Internet für die Masse nicht zugänglich waren. Unterschiedliche Autoren versuchen eine Definition für den Begriff der Medienkompetenz zu formulieren. Nach Winterhoff-Spurk (1997) beinhaltet Medienkompetenz folgende Komponenten

Drei Bereiche der Medienkompetenz nach Winterhoff-Spurk (1997)

  • Technische Medienkompetenz
    • Bedienung von technischen Geräten einschließlich Kenntnis der notwendigen Kommando- oder Programmiersprachen (zum Beispiel, Erstellen einer Homepage im Internet).
  • Soziale Medienkompetenz
    • Fähigkeit zur sozialkritischen Reflexion von Informations-technologien sowie ihre Nutzung als Mittel sozialer Kooperation (zum Beispiel Tele-Learning).
  • Selbstbezogene Medienkompetenz
    • Fähigkeit, sich aktiv und reflexiv mit den Informationstechnologien und ihren Entwicklungen auseinander zu setzen und sie angemessen in die eigenen Aktivitäten einzubinden  (zum Beispiel, Teilnahme an Computerkursen).

Diese Dimensionen haben nach wie vor Ihre Gültigkeit, trotzdem sie in einer Zeit formuliert wurden, in der digitale Medien und Internet für die Masse nicht zugänglich waren. Unterschiedliche Autoren versuchen eine Definition für den Begriff der Medienkompetenz zu formulieren.

Hier beschreibt Winterhoff-Spurk (1997) drei Ebenen, auf denen sich Lernende wie Lehrende gut auskennen sollten, um von Lehr- Lernprozessen in den neuen Medien profitieren zu können. Kron & Sofos (2003) beschreiben ebenfalls drei Ebenen der Medienkompetenz, wobei die medienpädagogische Kompetenz von Blömeke (2000) übernommen wird. Die nachfolgende Aufstellung wurde nach den Angaben von Kron & Sofos (2003, S. 70 – 76) erstellt.

  • Funktionale Medienkompetenz
    • Wird in Sozialisations- und Enkulturationsprozessen gelernt.
      Gilt für Jung und Alt.
      Gilt als subjektspezifische Kompetenz.
      Die Erfahrung ist leitend.
  • Medienpädagogische Kompetenz nach Blömeke (2000)
    • Mediendidaktische Kompetenz
      Medienerzieherische Kompetenz
      Sozialisationsbezogene Medienkompetenz im Medienzusammenhang
      Schulentwicklungskompetenz Im Medienzusammenhang
      Eigene Medienkompetenz
  • Mediendidaktische Kompetenz
    • Lehr- und Lernprozesse mit den neuen Medien, sowie die Vermittlungsproblematik von Wissen steht im Zentrum. Vermittelt werden sollen: Technisch instrumentelle Fähigkeiten wie  Medienfunktionales Wissen, Arbeitskoordinatorische Fähigkeiten, Ästhetisch emotionale Erfahrungen
      Systembezogenes Wissen, Ethisches Wissen, gesellschaftskritisches Wissen

Medien pädagogische Ziele liegen in der Fähigkeit Symbole zu dechiffrieren, Inhalte zu selektieren, virtuelle Botschaften in den Kontext zum Realen setzen zu können sowie in der effektiven Nutzung des gesamten virtuellen Angebotes zum Wohle der Ausformung einer Persönlichkeit, die sich im Einklang mit sich, der sozialen Gemeinschaft und der Natur entwickelt (vgl. Fußmann et al., 2003, S. 26). „Hinsichtlich des Jugendschutzes gehört das eigenständige Erkennen und Meiden von Menschen verachtenden, sexistischen und fremdenfeindlichen Inhalten zu den inhaltlichen Vorgaben […]“ (Fußmann et al., 2003, S. 26).

Wie aus dem letzten Zitat hervorgeht, sind die digitalen Medien Errungenschaften der Erwachsenen, in welche die Kinder der Gesellschaft hineingeboren werden/wurden. Ein wesentlicher Anspruch an die Erwachsenen der digitalen Zeit ist es, ihre Nachkommen adäquat in die neuen Medien einzuführen und diese auf ihrem Aneignungsprozess zu begleiten. Der Ort dafür sind Familien, und gesellschaftlich organisierte Systeme für die Kindererziehung- und bildung wie das Schulsystem. Dies setzt Medienkompetenz von LehrerInnen selbstverständlich voraus.

Serpil Mağlıҫoğlu

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